Frank van Düren - Willkommen in meiner Welt
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Nur noch ein wenig Zeit

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Sie stand auf dem Balkon. Wie schon so oft in diesem Jahr. Ihre Blicke schweiften ziellos am Horizont entlang. Der Mond schien hell für eine so kalte Jahreszeit. Ein leises Seufzen ertönte, als sie dem Himmel den Rücken zudrehte und wieder in die Wohnung ging. Die Balkontür lies sich lautlos schließen. Ihre nackten Füße glitten langsam über den Parkettboden. Ihre Mutter musste etwas fallen gelassen haben. Sie merkte, dass ihr Haut ein wenig am Boden haften blieb. Ihre Gedanken waren überall. Nur nicht bei ihr. Nicht auf dem Weg zu ihrem Zimmer. Leicht streifte sie mit den Fingern an der Tapete entlang. Das Muster hatte ihr noch nie gefallen. Aber sie mochte das leichte Kribbeln in ihren Fingerspitzen. Der Flur war lang und dunkel. Aber nach 16 Jahren in dieser Wohnung kannte sie sich auch ohne Licht genug aus. Sie merkte nicht, dass sie sich immer mehr nach rechts bewegte. Ein stechender Schmerz holte sie aus ihrer Gedankenwelt zurück. Nach der OP am Knie tat es ihr um einiges mehr weh, wenn sie jetzt gegen die kleine Kommode am Ende des Ganges stieß. Sie Biss sich auf die Lippe. Ein leichter Geschmack von Blut drang in ihren Mund. Ihre Glieder wurden schwer. Schon als Kind hatte sie öfters diese Schwindelanfälle. Ihre Augenlider wurden schwerer und ihr Kopf fühlte sich an, als würde er zerdrückt werden. Langsam ein und ausatmen hatte ihre Ärztin immer gesagt. Nach ein paar Sekunden, es kamen ihr jedoch vor wie Minuten, gelang sie wieder zu einem klaren Verstand. Jetzt bemerkte sie, dass sie sich auf die Kommode gesetzt hatte. Ein kalter Luftzug streifte ihre Beine. Irgendwo musste ein Fenster offen sein. Doch was kümmerte sie das. Und da war es wieder, das taube Gefühl was sich in ihrem linken Arm ausbreitete. In den letzten Tagen war dies öfters der Fall gewesen. Ihre Fingernägel bohrten sich langsam tiefer in ihr Fleisch. Vielleicht würde es ja so aufhören. Nicht mehr lange. Nur noch ein wenig Zeit und es würde nicht mehr zittern. Langsam ließ auch der letzte Schmerz nach. Ihre Blicke schweiften noch einmal zur Tür. Warum? Ihre Eltern sind nicht da. Und so schnell würden sie auch nicht nach Hause kommen. Ihr Vater würde nur wieder über die Stränge schlagen. Er trank viel, wenn sich das Angebot ergab. Und ihre Mutter würde versuchen ihn den ganzen Abend davon abzuhalten. Wieder ein Seufzen. Das Aufstehen fiel ihr schwer. Ihre Glieder schmerzten und wirkten wie nasse Säcke. Aber warum sollte sie sich die Mühe machen in ihr Zimmer zu gehen. Eigentlich ist doch Das Bad der beste Ort für manche Dinge.
Gänsehaut breitete sich auf ihrer haut aus, als die das warme Wasser aufdrehte. Bald würden ihre Eltern kommen. Bald. Sie wusste, dass es manchmal Stunden dauerte, aber ihr kam der Gedanke, was wäre wenn sich ihre Mutter seit langem wieder durchsetzen könnte. Egal. Sie sollten die ersten sein, die es sehen sollten. Im Schrank kramte sie nach den Rasierklingen. Ihr Vater benutze sie nur selten, deswegen waren meistens welche da. Langsam zog sie ihr Top aus. Warum sollte es ihren Eltern vergönnt sein, sie wenigstens einmal nackt zu sehen. Ihrem Vater würde es Freude bereiten. Noch immer spürte sie seine Blicke auf ihrer Haut. Noch immer spürte sie seine altem, rauhen Hände an ihren Beinen hinauf gleiten. Das Wasser an ihren Beinen war ein schönes Gefühl, wenn auch selten.
Jetzt lang die Rasierklinge in ihrer Hand.
Ein noch wärmeres Gefühl breitete sich in Ihren Arm aus. Schön war es. Kein Schmerz wie alle immer sagen. Es war so warm. Ein seichter grauer Schleier legte sich über sie. Den Arm am Wannenrand aufgelegt, vernahm sie noch ein leises Tropfen. Wahrscheinlich das Blut, welches ins Wasser tropfte. Wie es wohl aussah. Ihre Augen waren zu schwer, als das sie diese noch einmal öffnen könnte. Ihr Körper entspannte sich. Ihre Gedanken verflogen. Ein letztes Geräusch. Es hörte sich wie das Knacken im Türschloss an. Dunkelheit.

Veröffentlicht: Dezember 2004

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