Frank van Düren - Willkommen in meiner Welt
***************************************************************************************
Home Gedichte Geschichten Fotografie Master´s Log Unterstützung
Links Gästebuch Impressum Datenschutzerklärung Nightshade
***************************************************************************************
Vorherige Geschichte

Asteroidenbasis LSB-54

Nächste Geschichte
"Kurs beibehalten! Hintere Schubdüsen auf Reisetempo!"
"Alles klar, Chef. Nähern uns dem Ziel."
"Gut. Wenn wir in Reichweite sind, übermittle den Check-In-Code."
"Logo, wie immer."
Dak sah seinen Copiloten von der Seite an. Emre war der einzige Roboter, den er kannte, der solch einen flapsigen Tonfall gegenüber einer Lebensform anschlug, statt sich auf Sprach-Etikette zu besinnen. Dies lag vor allem daran, dass Emre einer der wenigen freien Roboter in der Galaxis war. Das hieß, er hatte keinen Besitzer und war als frei denkendes und handelndes Individuum von der interstellaren Föderation anerkannt. Ein weiterer Grund für den lockeren Umgang miteinander war, dass Emre und Dak schlicht und einfach Freunde waren. Die beiden hatten schon so viel zusammen erlebt und sich gegenseitig so oft den Arsch gerettet, dass zwischen ihnen blindes Vertrauen herrschte.
"Wir haben noch etwas Zeit. Möchtest Du nen Kaffee?" fragte er seinen großen Blechkameraden.
"Klar. Mit zwei Löffeln Öl. Wie immer."
Dak schmunzelte. Er war Emre dankbar für dessen trockene Art. Dak selbst konnte seine Nervosität kaum verbergen. Zuviel stand auf dem Spiel.
"Kannst Du schon etwas erkennen?" fragte er, nachdem er mit seinem Kaffee ins Cockpit zurück gekehrt war. Für Emre hatte er selbstverständlich keinen mitgebracht.
"Negativ. Die Sensoren zeigen zwar ein paar Brocken an, aber keiner davon ist groß genug."
"Halt bitte die Augen offen. Ich möchte keine Überraschungen erleben."
Die ganze Sache war ihm nicht geheuer. Zwar hatten sie einen offiziellen Lieferauftrag, aber so weit draußen in den Randgebieten war er noch nie gewesen. Nach allem, was er gehört hatte, wimmelte es hier von Piraten. Er hatte kein Interesse, selbigen zu begegnen. Schon gar nicht mit der heißen Fracht, die sie geladen hatten.

"Ich habe Kontakt."
"Endlich!" Dak atmete tief ein. "Was sagen sie?"
"Bisher nichts weiter. Ich habe die Codes übermittelt. Sie werden gerade überprüft."
"Was dauert denn da bitte so lange? Hoff hat versichert, es handele sich um legale Codes!"
"Bleib ruhig. Ich denke, hier draußen sind die einfach deutlich vorsichtiger, als auf den zentralen Föderationswelten."
Das war eine der Sachen, die Dak an seinem Freund zugleich bewunderte und nervte: Dessen stoische Gelassenheit. In solchen Momenten merkte man, dass Emre trotz allem eine Maschine war.
"Wir haben Landeerlaubnis." ließ der Roboter schließlich verlauten.

"Nein, wir möchten unsere Fracht wirklich noch nicht löschen!" wiederholte Dak zum dritten Mal.
"Aber Sir! Das Protokoll verlangt eine sofortige Leerung Ihres Transportschiffes und die anschließende Freigabe der Landebucht für nachfolgende Schiffe!"
"Nachfolgende.. was bitte?!"
Dak sah den Dockoffizier an. Oder die Offizierin? Das Wesen vor ihm war ein Andrlzaner. Diese Spezies zeichnete sich durch ihre multigeschlechtliche Anlage aus, bei der nie ganz klar war, ob es sich um Männlein, Weiblein oder gar eine Mischform handelte. Eine weitere bekannte Eigenschaft dieser Geschöpfe war ihre legendäre Sturköpfigkeit, welche sie zu idealen Beamten der Föderation machte. Als freier Händler hatte Dak ständig mit der Bürokratie und deren stolzen Wächtern, den Andrlzanern zu kämpfen. So weit draußen, noch dazu auf einem halb legalen Außenposten, hatte Dak allerdings nicht damit gerechnet. "Hören Sie. Wir sind hier am Arsch des Universums. Wie oft verirren sich Frachtschiffe hier raus?"
"Sie haben sich hier hin verirrt." gab das Andrlzaner zu bedenken.
"Ja aber..."
"Es gibt Regeln Sir, die müssen beachtet werden."
"Mein Auftraggeber hat mir mitgeteilt, dass ich mein Schiff parken soll. Er würde sich dann mit mir im Verbindung setzen, um den Abtransport der Fracht zu organisieren!" versuchte Dak es noch einmal. Seine Stimme bebte.
"Wer ist denn Ihr Arbeitgeber?"
"Auftraggeber! Das kann ich Ihnen nicht sagen!"
"Das ist schlecht. Sir, ich muss Sie bitten, die Landebucht zu räumen. Anderenfalls sehe ich mich gezwungen, Ihr Schiff zu konfiszieren."
Panik ergriff Dak. Würde man sein Schiff konfiszieren, wäre es nur eine Frage der Zeit, bis die Fracht genauer untersucht würde. Und das wäre für ihn ein todsicheres Ticket ins Gefängnis.
"Das wird nicht nötig sein, Leutnant." erklang plötzlich ein Stimme neben Dak, die ihn unwillkürlich zusammenzucken ließ.
Wie aus dem nichts war eine menschliche Frau aufgetaucht. Sie war gut einen Kopf kleiner als Dak, strahlte aber eine Autorität aus, von der er weiche Knie bekam. Ihr athletischer Körper steckte in einer eng anliegenden, schwarzen Uniform. Das kastanienbraune Haar hatte sie zu einem strengen Dutt hochgesteckt. Mit ihren ebenso braunen Augen musterte sie Dak, um sich dann wieder dem Andrlzaner zuzuwenden.
"Ich übernehme hier. Wegtreten!"
"Jawohl, Sir!" rief das Andrlzaner, drehte sich um seine eigene Achse und schritt von dannen.
"Danke." presste Dak hervor, nicht sicher, ob er jetzt nicht vom Regen in die Traufe geraten war. Die uniformierte Lady war zwar überaus attraktiv, wirkte aber nicht gerade nachgiebig. Gerade als er fürchtete, die nächste nervenaufreibende Diskussion vor sich zu haben, huschte ein leichtes Lächeln über ihr Gesicht.
"Willkommen auf Asteroidenbasis LSB-54. Ich bin General Salome Ahmadi, stellvertretende Kommandeurin dieser Station. Ich hoffe, Sie hatten einen angenehmen Flug?"
Dak musste schlucken. Von einer so hochgestellten Person empfangen zu werden, bereitete ihm mehr als Unbehagen. Die Fracht auf seinem Schiff war zwar offiziell von der Leitung der Basis geordert worden, aber es hieß, dass eine private Sicherheitsfirma diese löschen würde - und dabei auch den inoffizellen und höchst illegalen Anteil verschwinden ließ. Eine Offizierin der Föderation hingegen würde ihn ohne Umschweife vor Gericht bringen, wenn sie davon Wind bekäme.
"Äh... Ja... Etwas holprig." stotterte er. "Mein Name ist Dak..."
"Ich weiß, wer Sie sind." unterbrach sie ihn. "Und keine Sorge, ich war es, die Ihre Lieferung in Auftrag gegeben hat. Die gesamte Lieferung.“
"Sie haben nichts zu befürchten." fügte sie schmunzelnd hinzu. Dak war mittlerweile ziemlich bleich geworden und auch seine Kinnlade war ihm etwas entglitten.
In der Zwischenzeit hatten einige Arbeiter in schwarzen Overalls die Landebucht betreten und näherten sich Daks Schiff. Die meisten von ihnen waren Menschen, aber auch andere Spezies befanden sich darunter.
"Lassen wir die Frauen und Männer ihre Arbeit verrichten. Ihr Roboterfreund ist übrigen herzlich willkommen, wir pflegen hier auf LSB-54 eine liberale und tolerante Politik gegenüber allen Lebensformen, auch den künstlichen."
"Das wird ihn freuen."
Dak winkte Emre, der im Schatten des Schiffs gewartet hatte, heran. Noch immer war er nicht ganz beruhigt, zu oft hatte man ihn in der Vergangenheit übervorteilt. Dieser Auftrag hier war zu glatt verlaufen, wenn man bedachte, dass es sich eigentlich um einen heiklen Schmuggler-Job handelte. Konnte es wirklich sein, dass er einfach ablieferte und bezahlt wurde? Wohl kaum. Er fragte sich, wo der Haken an der Sache sein mochte.
"Was geschieht nun?" fragte er schließlich.
"Ich bringe Sie zu Ihrer Unterkunft." antwortete General Ahmadi. "Sie können Sich frei auf der Station bewegen. Wir werden die Fracht übernehmen und eingehend prüfen. Wenn alles damit in Ordnung ist, bekommen Sie morgen die vereinbarte Bezahlung. Was Sie dann machen, ist Ihnen selbst überlassen."

"Ich traue dem Braten nicht." murmelte Dak.
"Das wundert mich nicht. Du bist Vegetarier." sagte Emre.
"Haha. Du weißt was ich meine."
"Du meinst, dass wir statt in einer Gefängniszelle nun in einer Luxussuite hocken? Ich kann mir schlimmeres vorstellen." meinte der Roboter.
"Genau darum geht es. Wir werden von der stellvertretenden Stationsleiterin empfangen und wie Ehrengäste behandelt.Trotz des verdammten Zeugs, das wir geladen haben. Mehr noch, die Dame meinte, sie habe den Scheiß selbst bestellt!"
"Na besser hätte es uns doch nicht treffen können. Du machst Dir zu viele Sorgen!"
"Vielleicht hast Du ja recht. Ich bin einfach zu oft auf die Fresse gefallen."
"Dafür ist Dein Gesicht aber noch ganz ansehnlich." feixte Emre. "Nun komm, der Abend ist noch jung. Und das Stationscasino ist legendär, das will ich mir nicht entgehen lassen!"
Dak seufzte. Warum er sich auf den wahrscheinlich einzigen spielsüchtigen Roboter der Galaxis eingelassen hatte, würde er wohl nie verstehen. Die Wege der Freundschaft waren halt unergründlich.

"Rien ne vas plus!"
Fasziniert beobachtete Dak die Kugel, wie sie durch den Roulettekessel glitt. Dass dieses simple Glücksspiel sich über die Jahrtausende gehalten hatte, schien ihm unvorstellbar. Moderne Casinos boten allerlei spektakuläre Möglichkeiten, sein Geld zu verprassen, und doch sammelte sich die Elite der Zocker nach wie vor um diese archaischen Tische, in denen ein paar simple, physikalische Kräfte über Wohl und Wehe entschieden.
Die Kugel klickerte bevor sie schließlich in einem Feld des sich noch weiter drehenden Kessels hängen blieb.
"42!" Emre sprang auf. "Juhu!"
Glücksspiel war eine der wenigen Sachen, die in dem Roboter so etwas wie Emotionen hervor riefen.
Der Croupier schob ihm einen Haufen Chips zu.
Dak nahm einen kräftigen Schluck von seinem Cocktail, einem Wild Cardassian. So oft er dieses Spiel schon gesehen hatte, konnte er noch immer nicht fassen, dass Emre fast jedes Mal damit durch kam. Natürlich war es kein Geheimnis, dass ein Roboter über die entsprechenden Synapsen verfügte, um die Bahn der Kugel exakt zu berechnen und so im richtigen Moment noch genau auf die Zahl zu setzen, auf der das Ding letztlich landen würde. Aber die perfiden Verwicklungen der politischen Korrektheit in der Föderation sorgten dafür, dass alle ein Auge zudrückten, solange der Roboter es nicht übertrieb, gelegentlich auch mal "falsch setzte" und seine Gewinne überschaubar hielt.
Zur Erklärung: Freie Roboter waren ein noch recht neues Phänomen, welches im Zuge der jüngsten Gleichstellungsgesetze aufkam. Besagte Gesetze verboten jegliche Diskriminierung aufgrund der spezifischen Eigenschaften einer Lebensform , egal wie sehr diese von der Norm abwichen. Das war natürlich prinzipiell auch löblich, allerdings hatten die Gesetzgeber nicht bedacht, dass eine der spezifischen Eigenschaften von Robotern die unglaubliche Geschwindigkeit und Präzision war, mit der sie mathematische und physikalische Berechnungen anstellen konnten. Emre nun aufgrund dieser Fähigkeit davon auszuschließen, am Roulettespiel teilzunehmen, wäre ein Paradebeispiel der Diskriminierung gewesen. So etwas konnte bis zur Schließung des jeweiligen Etablissements führen. Und da kaum ein Casinomanager das Risiko eines entsprechenden Rechtsstreits eingehen wollte, hatte Emre so eine sichere Möglichkeit gefunden, sein Taschengeld aufzubessern.
Es muss noch erwähnt werden, dass die neuen Gleichstellungsgesetze zudem künstlich erzeugten Intelligenzen den Status "Lebensform" zuerkannt hatten, was die Gesetzeslage allerdings nicht übersichtlicher gemacht hatte.
Was Dak allerdings Sorgen bereitete, war der Umstand, dass sie sich auf einer Asteroidenbasis am Rande der Föderation befanden. Advokaten waren hier rar gesät, und diejenigen, die so weit in die Außenbereiche gerieten, hatten meist Dreck am Stecken.
"Ihr Kumpel hat außerordentliches Glück."
Dak erschrak. Erneut war General Ahmadi wie aus dem nichts neben ihm aufgetaucht.
Ihr Anblick war atemberaubend! Die strenge Uniform hatte sie gegen ein elegantes, schwarzes Abendkleid ausgetauscht, welches ihren trainierten, dabei sehr weiblichen Körper umschmeichelte. Verziert war es mit Kupfer- und Messingfarbenen Pailletten in orientalischen Mustern. Dazu trug sie ein passendes Collier, in welchem sich die gleichen Farben wiederfanden. Ihr langes Haar war zu beiden Seiten am Kopf entlang geflochten und vereinte sich hinten zu einem hohen Zopf, welcher bei jeder Kopfbewegung einen leichten Tanz zu vollführen schien. Zudem hatte sie ein dezentes, akzentuiertes Make Up aufgetragen, welches ihre filigranen Gesichtszüge noch betonte.
"Ja... Nennen wir es Glück." seufzte Dak, nachdem er sich wieder gefasst hatte. "Was führt Sie denn hierher?"
"Auch ein General braucht manchmal ein wenig Nervenkitzel." hauchte sie ihm zwinkernd zu. Sie setzte ein paar Jetons auf die 23, während die Kugel erneut ihren Lauf nahm. Emre hingegen hielt sich noch mit dem Setzen zurück. Er wartete immer so lange wie möglich ab, um anderen Spielern nicht die Chance zu geben, seinen Einsatz zu kopieren.
"Hat man als Offizier hier am Rande der Föderation sonst keine spannenden Aufgaben?" fragte Dak frei heraus.
"Ach, weniger als man glauben möchte. Das Gesindel, welches abseits der Grenzen lebt, lässt uns weitestgehend in Ruhe. Die freuen sich höchstens, dass sie ab und an auf unserer Station hochwertige Waren erstehen können, wenn mal wieder eine Lieferung von den Kernwelten eingetroffen ist."
"So wie meine?"
"Wir beide wissen, dass Ihre Fracht diesbezüglich mehr Schein als Sein ist." sagte der General in einem seltsam trockenen Tonfall. "Aber ja, auch davon wird einiges seinen Weg über die Grenzen finden.
Ihre Reaktion bereitete Dak Unbehagen. Noch immer verstand er nicht, warum eine Offizierin der Föderationstruppen den Auftrag geben konnte, höchst illegales und gefährliches Schmuggelgut auf eine von ihr bewachte Station bringen zu lassen. Es sei denn...
"Was haben Sie damit vor?" fragte er leise.
"Es gibt Fragen, die sollten Sie besser nicht stellen, Kapitän." gab sie mit einem Funkeln in den Augen zurück.
Emre setzte seinen Einsatz auf die 7.
"Rien ne vas plus!"
Die Kugel rollte, klickerte, hüpfte, um schließlich auf einer Zahl zur Ruhe zu kommen.
"23!"

"Das kann nicht sein!" Sie standen mittlerweile vor den Toren des Casinos. Emre war noch immer außer sich und wollte zurück ins Etablissement, doch Dak versperrte ihm den Weg.
"Lass es gut sein." redete er auf seine Freund ein. "Du hast dich sicher einfach verrechnet."
"Ich verrechne mich nie!" fauchte der Roboter. So aufgebracht hatte Dak ihn noch nie erlebt! "Die haben mich um meinen Gewinn betrogen!"
"Warum setzt Du auch immer Deinen ganzen Gewinn aufs nächste Feld?"
"Das nennt man Gewinnmaximierung!"
"In diesem Fall war es wohl eher Verlustmaximierung!" konnte sich Dak nicht verkneifen. "Lass uns gehen. Wir bekommen morgen für unseren Auftrag mehr als genug Kohle. Lass uns einfach in unsere Kabinen gehen und morgen reisen wir wieder ab. Ich kauf Dir auch am Kiosk noch die neueste Ausgabe des Playbots."
"Dein Ernst, Chef?" giftete Emre. "Ich geh da jetzt rein und jag den Laden in die Luft!"
"Gibt es hier ein Problem?"
Ein Sicherheitsoffizier war auf die beiden aufmerksam geworden und näherte sich langsam, eine Hand an den Halfter seiner Blasterpistole liegend.
"Äh.. Nein, kein Problem Sir!" erwiderte Dak hastig.
"Und ob wir ein Problem haben, ich bin betrogen worden, verdammt!" fluchte Emre.
Der Sicherheitsmann betrachtete den Roboter grimmig.
"Sie wollen das Casino in die Luft sprengen?"
Dann überschlugen sich die Ereignisse. Eine immense , ohrenbetäubende Detonation im Casino erschütterte die ganze Station. Sekundenbruchteile später fegte die Druckwelle Emre, Dak, den Offizier und all die neugierig gewordenen Passanten von den Füßen.die sich um sie herum versammelt hatten. Schreie ertönten, Panik breitete sich aus. Sirenen erschallten.
Dak krümmte sich am Boden. Schmerz durchströmte seinen Körper und ein grelles Geräusch dröhnte in seinen Gehörgängen. Seine Augen waren von einer rötlichen Flüssigkeit verklebt... Blut! Mühsam wischte er das Zeug mit seinem Ärmel weg und versuchte, seine Orientierung wiederzufinden. Verschwommene Bilder von Chaos und Zerstörung offenbarten sich ihm. Leute lagen am Boden, andere liefen in tiefster Verzweiflung umher. Von Emre fehlte jede Spur. Dafür standen drei Sicherheitsleute um ihn herum, hatten ihre Waffen auf ihn gerichtet und schienen auf ihn ein zu brüllen. Doch gegen das Fiepen in seinem Ohr klangen ihre Stimmen nur dumpf und hohl. Als er vorsichtig die Hände hob stürzte sich einer der Sicherheitsmänner auf ihn und riss ihm brutal die Arme auf den Rücken.

Man hatte Dak in einen fensterlosen Raum gebracht, in dem nichts als ein karger Tisch aus einem hoch dichten Polyethylen samt zugehöriger Stühle stand. Auf einem dieser Stühle saß er, die Hände auf dem Rücken mit Stahlschellen gefesselt. Ihm gegenüber saß ein Peretristak in der Uniform der Sicherheitskräfte der Station. Für diese Spezies Kleidung zu erstellen war nicht unbedingt einfach, waren die hochintelligenten Geschöpfe, die ursprünglich vom Planeten Peretrion stammten, doch mit sechs Gliedmaßen, vier Flügeln und einem stachelbewehrten Schwanz ausgestattet. Außerdem beobachtete sein Gegenüber Dak mit drei pechschwarzen Augen, die in einem Rautenförmigen Gesicht lagen.
"Jetzt mal Klartext, Herr Dvorak. Sie bleiben also dabei, dass Sie nicht wissen, was passiert ist?"
"Dak. Ich bevorzuge Dak."
"Herr Dvorak, Sie wissen, dass Sie im Verdacht stehen, einen terroristischen Anschlag mit mehrfacher Todesfolge begangen zu haben."
Der Peretristak sprach die Gemeinsprache ausgesprochen gut. Natürlich hatte auch er den knatternden Tonfall in seiner Stimme,welcher der Mundanatomie seiner Spezies geschuldet war.
"Wie ich Ihnen bereits mehrfach sagte, Herr Kommissar, ich habe keine Ahnung, was da passiert ist."
Kommissar Tstsrzk schien nachzudenken. Genau war das für Dak aber nicht auszumachen. Die Mimik eines Peretristak war für ihn so undurchsichtig wie die schwarzen Nebel im Ballemar-System.
"Herr Dvorak, wo ist der Roboter?"
Dak seufzte, da das Gespräch sich nur noch im Kreis drehte.
"Ich war bewusstlos. Als ich wieder zu Sinnen kam, war Emre nicht mehr da. Er hat sich bei mir nicht abgemeldet." wiederholte er entnervt seine Aussage. "Hören Sie, ich hab mit dem ganzen Scheiß nichts am Hut. Was da passiert ist, ist schrecklich, aber ich bin nur Gast auf dieser Station, habe meine Ware abgeliefert und würde nun gerne wieder zu den Inneren Welten aufbrechen."
"Ich glaube, Sie verkennen Ihre Lage, Herr Dvorak. Alle Beweise sprechen gegen Sie. Ihr Roboter hat zudem unter Zeugen gedroht, den Anschlag zu verüben, der wenige Momente später passiert ist."
Instinktiv wollte Dak die Hände vors Gesicht schlagen, ob des Starrsinns des Insektoiden. Dummerweise hielten ihn die Handfesseln davon ab, weswegen er nur schmerzerfüllt aufstöhnte, als sich Metall in seine Handgelenke schnitt.
"Genau darin liegt doch der Irrsinn Ihrer Anschuldigungen! Warum bitteschön sollten wir einen geplanten Anschlag lauthals ankündigen? Emre war wütend, weil er vom Roulettetisch entfernt wurde, als er eine Glückssträhne hatte!"
"Und dann haben Sie aus Rache den Roulettetisch mit einer Bombe versehen."
Dak war fassungslos.
"Es reicht! Wir sind Gäste von General Ahmadi. Holen Sie sie her, dann wird sie die Angelegenheit sicher aufklären!"
"General Ahmadi ist tot. Getötet durch Ihre Bombe!"
"Was...?" Dies Information traf Dak wie ein Schlag. "Das kann nicht sein."
"Es ist so. Als Sie das Casino verlassen haben, saß General Ahmadi am gleichen Spieltisch, wie Sie sich sicher erinnern. Und exakt an jenem Tisch war auch die Bombe versteckt, die Sie anschließend gezündet haben."
"Das darf nicht sein..." Dak schüttelte den Kopf. Er hatte die Generalin kaum gekannt, und doch wurde ihm übel beim Gedanken daran, dass sie tot sein sollte.
"Wir gehen davon aus, dass General Ahmadi Ihr Hauptziel war, Herr Dvorak. Was uns fehlt, ist Ihr Motiv und Ihr Komplize. Also warum reden Sie nicht endlich?"
Doch nach reden war dem jungen Frachterkapitän nun erst recht nicht mehr zumute. Alles in ihm verkrampfte sich. Er wusste nicht, woher sie kamen, aber Tränen rannen über seine Wangen.

Tstsrzk hatte das Verhör schließlich abgebrochen und Dak wieder in seine Zelle bringen lassen. Da saß er nun auf einer harten Pritsche und versuchte, sich zu beruhigen. Seine Situation war gelinde gesagt beschissen. Man bezichtigte ihn eines Terroranschlags, bei dem viele Leute zu Tode gekommen und noch mehr verwundet worden waren. Die angeblichen Beweise waren natürlich hanebüchen, aber hier draußen am Arsch der Föderation würde er kaum auf einen fairen Gerichtsprozess hoffen. Sein einziger Freund war spurlos verschwunden. Womöglich war er bei dem Bombenanschlag zerstört worden, wobei Dak dies zumindest für unwahrscheinlich hielt. In dem Fall hätte man Überreste des Roboters finden müssen und die Stationssicherheit würde nicht nach ihm suchen.
Seine Situation schien aussichtslos. Was ihn aber vollkommen aus der Bahn geworfen hatte, war die Nachricht vom Tod der Generalin. Dak mochte es sich nur schwer eingestehen, aber er hatte offenbar in den beiden kurzen Begegnungen mit ihr schon Gefühle für die Frau entwickelt. Wie das hatte passieren können, verstand er selbst nicht, und es war auch nicht seine Art. Als reisender Händler mied er tiefe Verbindungen zu Frauen. Zu kurz und flüchtig waren die Begegnungen, zu schnell musste er in der Regel weiterreisen. Seine körperlichen Gelüste befriedigte er entweder im Bordell oder mit Zufallsbegegnungen. Auf manchen Planeten, die er häufiger ansteuerte, hatte er oberflächliche Bekanntschaften und Affären. Echte Verliebtheit hingegen hatte er schon seit Jahren nicht mehr verspürt.
Um so mehr verwirrte ihn, dass Salome Ahmadi ihn offenbar voll erwischt hatte. Klar, sie war bildschön, aber das alleine hätte kaum ausgereicht, um bei Dak mehr als nur den Schoß zu jucken. Da war mehr. Ahmadi hatte etwas geheimnisvolles an sich, sie vereinte Weiblichkeit und Kraft mit Souveränität und Charisma. Solch einer Frau war Dak noch nie begegnet.
Und er würde ihr auch nie wieder begegnen. Schließlich war sie tot. Zerfetzt von einer Bombe, deren Detonation man ihm höchst persönlich zur Last legte. Resigniert seufzte Dak und musste neuerliche Tränen unterdrücken.
Noch während er so trübsinnig da saß, gab es plötzlich einen dumpfen Knall, ganz in der Nähe seiner Zellentür. Erschrocken sprang er auf. Augenblicke später wurde die Tür aufgerissen. Weißer Rauch zeichnete sich dahinter ab, in dem sich schemenhaft ein vertrautes Gesicht abzeichnete.
"Emre!" rief Dak.
"Beweg Deinen fleischigen Arsch, Chef. Es ist Zeit zu verschwinden." Der Roboter hielt ihm eine Gasmaske entgegen.
Das ließ sich Dak nicht zweimal sagen. Er huschte in den Vorraum, nachdem er die Maske übergestreift hatte. Hier lagen Wachen am Boden, offenbar ausgeknockt von dem Gas, welches noch immer in der Luft waberte. Zwei gänzlich in schwarze Anzüge gehüllte Gestalten gestikulierten mit ihren Waffen in Richtung der nächsten Tür, die aus dem Zellentrakt hinaus führte. Sie trugen ebenfalls Gasmasken.
"Ich erklär´s dir später!" Emre wirkte ungewohnt angespannt. Ohne weitere Verzögerung machten sie sich auf den Weg.

Dak war nervös. Nein vielmehr war er aufgewühlt. Verständlich nach den Ereignissen der vergangenen Stunden. In der spärlich beleuchteten Kammer befanden sich außer Emre und Dak noch drei weitere Personen. Zwei von ihnen, ein Mann und eine Frau, waren die Krieger, die an seiner Befreiung beteiligt gewesen waren. Die Frau hatte sich als Leila vorgestellt und sah Salome fatalerweise ziemlich ähnlich. Dak vermutete, dass es sich um ihre Schwester handelte, wenngleich er sich nicht traute, diesbezüglich nachzuhaken. Ihr Anblick bedrückte ihn allerdings extrem, da ihm so umso schmerzhafter bewusst wurde, dass er die Generalin niemals wiedersehen würde. Der Mann war ein Berenghi. Dabei handelte es sich um Bewohner vom Planeten Berengheti, die ursprünglich von Menschen abstammten, aber durch die widrigen Lebensbedingungen auf ihrer Heimatwelt eine Genmutation erlitten hatten. Äußerlich zeigte sich diese durch eine kalkweiße Haut, fehlenden Haarwuchs und tiefschwarze Augen, in denen keine Iris zu erkennen war. Der Mann namens Harmet war irgendwie unheimlich, obwohl er die angespannte Stimmung mit lustigen Anekdoten aus seiner Heimat auflockerte. Noch verstörender war die dritte Anwesende Person. Es handelte sich um ein Andrlzaner, und Dak war sich ziemlich sicher, dass es das Andrlzaner war, welches ihm bei seiner Ankunft gestern auf die Nerven gegangen war.
Bisher war Emre ihm die versprochene Erklärung schuldig geblieben. Das einzige, was Dak bisher heraushören konnte war, dass es sich bei diesem Haufen um eine Art Widerstandszelle handelte. Wogegen sich dieser Widerstand richtete und warum man ihn aus dem Gefängnis befreit hatte, war ihm allerdings schleierhaft.
Überhaupt kam ihm die ganze Situation absurd vor. Ihre Flucht hatte die kleine Truppe zunächst durch die Kanalisation geführt. Dak war sich zuvor gar nicht bewusst gewesen, dass eine Asteroidenbasis auch über ein solches Abwassersystem verfügte. Von den Kanälen war schließlich ein verborgener Gang abgezweigt, der durch natürliches Gestein tiefer in den Himmelskörper führte. So waren sie schließlich in eine Art geheime Basis gelangt, in der sie sich stärken konnten, auf das Andrlzaner trafen und nun in einem Aufenthaltsraum warteten auf... Ja auf was eigentlich? Gerade als Dak erneut ansetzen wollte, um eben diese Frage zu stellen, ging die Tür auf und eine unter einem Umhang verborgene Gestalt kam herein. Sofort sprang Leila auf und fiel dem Neuankömmling um den Hals.
"Schwesterherz!" strahlte sie.
"Vorsicht, Du erdrückst mich!" gluckste eine vertraute Stimme unter der Kapuze.
Dak konnte es nicht fassen, sein Herz schlug bis zum Hals. Konnte das sein?
"General Ahmadi?" stieß er ungläubig hervor.
Tiefbraune Augen und ein gewinnendes Lächeln kamen unter dem Umhang hervor.

"Der Anschlag hat mir gegolten."
"Was macht Dich da so sicher, Salome?" fragte Harmet.
"Ich habe einen Fehler gemacht." antwortete die Generalin. "Ich bin zu sehr in Gewohnheiten verfallen und in den letzten Wochen immer am Treztag zur gleichen Zeit an den Roulettetisch gegangen. Was einst als Tarnung gedacht war, wäre mir beinahe zum Verhängnis geworden."
Noch war Dak nicht sicher, worum es hier eigentlich ging. Offenbar war Salome Ahmadi nicht nur stellvertretende Stationsleiterin und General der Föderation, sondern zugleich eine Art Widerstandskämpferin mit eigener Terrorzelle. Die Zusammenhänge waren ihm allerdings vollkommen schleierhaft.
"Wer hat diese Bombe gelegt?" fragte er, um etwas beizutragen und zumindest etwas Klarheit zu gewinnen.
Salome schaute ihn an, als habe er sie soeben nach der Quadratwurzel aus vier gefragt. Dann aber fiel ihr offenbar ein, dass er tatsächlich unter einem eklatanten Mangel an Informationen litt.
"Es war die Schwarze Hand." sinnierte sie. Als sie Daks Stirnrunzeln registrierte, sprach sie weiter. "Die Schwarze Hand ist die Geheimorganisation, die wir bekämpfen. Sie stammen von unserem Heimatplaneten New Persia. Sie sind gefährlich, skrupellos und gewillt, die Herrschaft über die gesamten Föderation an sich zu reißen."
Es folgte ein Moment unbehaglicher Stille.
"Wir gehen davon aus, dass es ihnen in weiten Teilen gelungen ist." fügte sie schließlich hinzu.
"Du glaubst also wirklich, dass die Hand ihre Finger sogar bis hier draußen ausgestreckt hat?" fragt Leila mit zittriger Stimme.
"Wir müssen vom schlimmsten ausgehen, ja." erwiderte Salome.
An Emre und Dak gerichtet erklärte sie: "Wir haben uns bewusst hier an den Rand der Föderation zurückgezogen, weil wir dachten, hier wären wir vor den Augen der Schwarzen Hand verborgen und könnten ungestört unsere Aktionen planen. Anscheinend waren sie uns aber bereits auf den Fersen."
"Euer Widerstand richtet sich also nicht gegen die Föderation?" hakte Dak nach. Der Gedanke, Teil einer regierungsfeindlichen Terrorzelle zu werden, behagte ihm überhaupt nicht.
"Ja und nein." schaltete sich hier das Andrlzaner ein, welches bis dahin geschwiegen hatte. "Da die Schwarze Hand weite Teile der Föderation kontrolliert, kämpfen wir gegen weite Teile der Föderation."
"Um sie von diesem verdorbenen Einfluss zu befreien." fügte Leila eilig hinzu, um Missverständnissen vorzubeugen.
"Wir müssen mit den Führern unserer Organisation Kontakt aufnehmen und sie von den neuesten Entwicklungen in Kenntnis setzen." Salome klang besorgt.
"Eure Organisation?" Hier erwachte auch Emres Neugier.
"Wir sind die Anûšiya. Streiter für Recht und Freiheit." sprach Harmet mit einer ordentliche Portion Pathos in der Stimme.

In einem waren sich alle einig: Sie mussten von LSB-54 verschwinden. Auf der Asteroidenbasis waren sie nicht mehr sicher. Die Anûšiya hatten zudem eine Mission zu erfüllen. Emre hingegen wollte mit dem ganzen Scheiß, wie er es nannte, nichts zu tun haben. Dak hatte schlichtweg Angst um sein Leben. Zugleich wollte er aber auch so lange wie möglich in Salomes Nähe bleiben.
Die Station zu verlassen war aber gar nicht so einfach. Salome galt offiziell als tot. Und würde sie überraschend von den Toten wieder auferstehen, wäre sie sofort im Zentrum jeder Aufmerksamkeit. Davon abgesehen wussten sie nicht, wem sie auf LSB-54 noch trauen konnten - die Schwarze Hand mochte ihre Spione überall haben.
Ein weiteres Problem war, dass der gesamte Asteroid in Alarmbereitschaft war, da Dak und Emre offiziell als Terroristen gesucht wurden. Die anderen drei Anûšiya waren zwar offiziell noch Teil der Sicherheitskräfte der Station, aber inwieweit sie zumindest bei der Hand bereits enttarnt waren, darüber konnte nur spekuliert werden. Salome war sich ziemlich sicher, dass auch sie in höchster Lebensgefahr schwebten, sollten sie nochmal öffentlich in Erscheinung treten.
Um LSB-54 zu verlassen, benötigten sie ein Schiff. Am besten das von Dak und Emre, da die beiden sich hier mit der Steuerung optimal auskannten und der Frachter über einige Tarnvorrichtungen verfügte, welche die beiden für Schmuggelaufträge hatten einbauen lassen. Es war wahrscheinlich, dass man sie verfolgen würde – die Station verfügte über eine komplette Staffel Abfangjäger.
Sie mussten also so lang wie möglich unentdeckt bleiben, das Schiff in ihre Gewalt bringen und dann das System so schnell wie möglich verlassen. Das klang nach einem simplen Plan.

Ganz so einfach war es dann doch nicht. Zum einen galt als oberstes Gebot, dass möglichst niemand zu Schaden kommen sollte. Zwar wurde nach ihnen gesucht, aber grundsätzlich natürlich aufgrund rechtlich fundierter Grundlage – zumindest, wenn die man Informationen zu Grunde legte, welche der Stationssicherheit zur Verfügung standen. Die Anûšiya sahen sich als Teil der Rechtsordnung der Föderation, nicht als deren Feinde. Und auch wenn sie davon ausgehen mussten, dass die Sicherheit von Spionen der Schwarzen Hand unterwandert war, konnte man davon ausgehen, dass die meisten Sicherheitskräfte normale Ordnungshüter waren. Kollateralschäden mussten also unbedingt vermieden werden.
Das andere große Problem war, dass sich von ihnen allenfalls das Andrlzaner und Harmet auf der Station frei bewegen konnte. Salome galt als tot, Emre und Dak wurden als Schwerverbrecher gesucht und Leila war illegal eingereist, um die Aktivitäten der Anûšiya aus dem Untergrund zu koordinieren.
"Wie heißt es eigentlich?" fragte Dak Salome und nickte in Richtung des Andrlzaner.
Salome lachte nur.
"Das kannst Du nicht aussprechen. Nenn es einfach Leutnant."
Das andere Problem bei ihrer Unternehmung war die maximale Alarmstufe, welche durch den Bombenanschlag ausgelöst worden war. Diese führte unter anderem dazu, dass alle Landebuchten verschlossen und Starts und Landungen somit unmöglich waren. Die Generalin hätte zwar als stellvertretende Kommandeurin der Station alle Codes gehabt, diese Sperren zu umgehen, sie galt aber dummerweise als tot und somit waren ihre Befugnisse in den Computersystemen umgehend deaktiviert worden.
Harmet war leitender Offizier und zudem Systemadministrator der internen Sicherheit. Er war überzeugt, dass er den Stationsalarm für wenige Minuten lahmlegen und die Startrampe ebenso lange öffnen könnte, aber das Zeitfenster war sehr knapp und bedurfte eines perfekten Timings. Zudem bedeutete dies, dass sie Harmet zurücklassen, da er für diesen Hack auf den Hauptcomputer in der Kommandozentrale zugreifen musste. Zwar war es auch von Vorteil, im Anschluss an die Flucht einen Spion auf LSB-54 zu wissen, allerdings bestand natürlich auch Gefahr, dass man den Berengheti erwischen würde. Und das würde ihm mit Sicherheit eine Anklage wegen Hochverrats einbringen.
Das Andrlzaner sollte den Zugang zum Schiff organisieren. Als Dockoffizier würde das Leutnant hier nicht nur keinen Verdacht erzeugen, sondern hatte zumindest alle Berechtigungen, die Docks und die darin liegenden Schiffe jederzeit zu begehen und zu inspizieren. Es würde also alle Vorbereitungen treffen, damit der Start innerhalb des Zeitraums gelingen konnte, in dem Harmet das Tor zum Weltraum öffnete.

"Kannst Du damit umgehen?" fragte Salome, als sie Dak den Blaster überreichte.
"Echt jetzt?" fragte er. "Abgesehen davon, dass ich meinen Wehrdienst geleistet habe, sind wir mit unserer Ware an Orten unterwegs, wo Dir ohne Waffe ganz schnell der Arsch aufgerissen wird."
Sie lächelte ihn an. Es war ein hinreißendes Lächeln, welches er nicht deuten konnte. Doch das musste er auch nicht. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte sie ihn noch ewig so anschauen dürfen.
"Ich habe ihn auf Betäubung gestellt. Wir wollen wie gesagt möglichst niemanden verletzen."
"Und wenn wir auf die Schwarze Hand treffen?"
"Dann darfst Du scharf schießen, Soldat."
Bei dieser Aussage verschwand ihr Lächeln und machte einer grimmigen Entschlossenheit platz. Aber auch diese fand Dak äußerst anziehend. Salome Ahmadi hatte sein Herz gestohlen, und er war sich verdammt sicher, dass dies mit voller Absicht geschehen war.
So sehr ihm dieser Gedanke gefiel, hatten Sie sich nun aber anderen Angelegenheiten zu widmen. Der Zeitplan für die Flucht von der Basis war eng gesteckt.

Leila führte sie durch Kanalisation und Wartungsgänge zu einer Ausstiegsluke, die ganz in der Nähe der Docks in einem Zuliefergang mündete. "Näher geht es nicht." erklärte sie auf Emres Nachfrage. "Die Start- und Landedocks sind ein Hochsicherheitsbereich. Dort sind die Zugänge zum Untergrund mit Sicherheitsvorkehrungen geschützt, die wir mit unseren Mitteln nicht lahm legen können."

"Mist, da kommt jemand!" zischte Salome.
"Dort hinein!" Leila deutete au eine Seitentür."Das ist ein Zwischenlagerraum, dort können wir uns verstecken."
Der Lagerraum war größer, als Dak vermutet hatte. Tatsächlich handelte es sich um eine Halle, in der mehrere stählerne Kisten abgestellt waren.
"Was da wohl drin ist?" fragte Emre.
"Pssst!" machte Salome.
Vor der Tür waren Stimmen zu hören. Worüber gesprochen wurde, war nicht zu verstehen, aber es klang sehr aufgeregt.
"Ich glaube, sie suchen nach uns." sagte Dak. Er umklammerte seinen Blaster dermaßen, dass seine Fingerknöchel weiß anliefen.
"Davon gehe ich aus." erwiderte Leila. Sie wirkte ebenfalls ausgesprochen nervös.
"Ach du scheiße!" fluchte Emre, der sich weiter mit den Kisten beschäftigt hatte.
"Sei still!" fauchte Salome ihn an. "Willst Du, dass man uns findet?"
Die Stimmen vor der Tür waren verstummt.
"Ich glaube, sie sind fort." meinte Leila schließlich, nachdem die Stille mehrere Minuten angehalten hatte. Vorsichtig öffnete sie die Tür einen Spalt, ihr Blastergewehr im Anschlag.
"Tatsache, die Luft ist rein."
"Dann lass uns verschwinden, die Zeit läuft uns davon." drängte ihre Schwester.
"Ihr solltet Euch das wirklich ansehen." betonte Emre, der seit Salomes Ermahnung tatsächlich ruhig geblieben war. Er hatte sich zwischenzeitlich an einer der Kisten zu schaffen gemacht und starrte auf deren Inhalt. Als Dak sich hinzugesellte, wurde er ganz blass.
"Das... das ist..." stotterte er.
"Wir müssen den Hohen Rat der Anûšiya warnen!" stieß Salome entsetzt hervor.

Sie beeilten sich jetzt um so mehr. Der Zulieferbereich war angenehm leer, lediglich zwei Wachen hatten sie am Eingang zu jenem Dock überwältigen müssen, in dem Daks Schiff geparkt war. Die beiden würden eine Weile friedlich schlummern.
Das Andrlzaner hatte dafür gesorgt, dass Daks Raumschiff vollgetankt und startbereit auf sie wartete - zumindest war so der Plan.
Tatsächlich stand der Transporter mit der amtlichen Kennung NRK-7912-F mit der Nase in Richtung Start- und Landebahn, an deren Ende aber das Tor noch geschlossen war. Viele Raumschiffkapitäne neigten dazu, ihren Fluggeräten neben den Kennungen noch Kosenamen zu geben, wie zum Beispiel "Old Mary" oder "Flitzender Aberdan", aber Dak hatte dies längst aufgegeben. Zu oft waren ihm seine bisherigen Schiffe abhanden gekommen oder zerstört worden. Da war kein Platz für sentimentale Bindungen zu einer Maschine.
"Seid vorsichtig. Irgendetwas stimmt hier nicht!" sagte Emre leise, als sie den Hangar betraten. Der Roboter hielt das schwere Blastergewehr, welches man ihm zur Verfügung gestellt hatte, im Anschlag und schwenkte damit durch die Halle.
Diese schien menschenleer... Und auch von Wesen anderer Welten war nichts zu sehen. Das Schiff stand fast verloren da, lediglich ein Wartungskubus befand sich in der Nähe, mit dem offenbar noch die letzten Startvorbereitungen getroffen worden waren.
"Wo ist Leutnant?" fragte Salome. "Es wollte uns hier in Empfang nehmen."
"Vielleicht ist es noch im Schiff? Die Laderampe steht offen!" Leila klang nicht so, als würde sie selbst an diese Theorie glauben.
Vorsichtig näherten sie sich dem Transporter, die Waffen feuerbereit. Sie hatten gerade knapp die Hälfte des Weges hinter sich, als plötzlich eine Stimme ertönte.
"General Ahmadi, wie schön, Sie quicklebendig zu sehen!" klang aus Richtung des Wartungskubus. Ein hochgewachsener Mann in einer schwarzen Uniform, ähnlich derjenigen, in der Salome Dak am Vortag in Empfang genommen hatte, war aus der Deckung hinter dem Gerät vorgetreten. Der Mann hatte graue Schläfen und ein markant geschnittenes Gesicht. Flankiert wurde er von zwei Soldaten mit schweren Waffen im Anschlag, welche sie auf Salome und ihre Begleiter gerichtet hatten.
"Kommandant Marlone, Sie können ihre Männer zurückpfeifen. Wir wollen lediglich einen kleinen Ausflug machen." erwiderte General Ahmadi.
"Das kann ich leider nicht zulassen." lachte der Stationsleiter. "Ihre Begleiter werden als Terroristen gesucht. Und da Sie diesen gerade zur Flucht verhelfen wollen, sind sie nun ebenfalls des Hochverrats überführt!"
"Wir sind zu viert, Sie haben nur zwei Männer." gab sie zu bedenken, ihren Blaster auf ihn gerichtet.
"Ist dem so?" schmunzelte Marlone.
In diesem Moment öffnete sich die Tür, durch welche sie selbst vor wenigen Minuten den Hangar betreten hatten, und ein halbes Dutzend bewaffnete Wachsoldaten strömte herein. Die Männer und Frauen nahmen die Gruppe um Salome ins Visier. Zudem hörten Sie Schritte von der Laderampe des Transporters. Kommissar Tstsrzk schritt dort herab, eine fremdartige Waffe in einer seiner Klauen. Vor ihm trottete das Andrlzaner, die Hände über dem gesenkten Kopf erhoben.
"Ah, Kommissar! Sie dürfen diese Delinquenten nun verhaften!" freute sich Kommandant Marlone.
"Mit dem größten Vergnügen!" erwiderte der Peretristak. "Meine Damen und Herren, bitte senken Sie die Waffen."
"Tut was er sagt." Salomes Stimme zitterte etwas.
"Was?" stutzte Dak. "Wir sollen uns einfach ergeben?"
"Sie sind in der Überzahl." warf Leila ein und richtete ihren Blaster gen Boden. Ungläubig folgten nun auch Dak und Emre der Aufforderung.
Der Kommissar und das Andrlzaner waren inzwischen zu ihnen gestoßen.
„Ich teile ihnen mit, dass Sie hiermit alle wegen Hochverrats, Terrorismus und gemeinschaftlichen Mordes verhaftet sind. Sie haben das Recht zu schweigen." sprach Tstsrzk. "Schließen Sie die Augen!"
"Wie bitte?" fragte Dak.
"Ich sagte, tut was er sagt!" zischte Salome.
Ein leises klicken, dann ein lauter Fiepton und selbst durch seine Lieder konnte Dak den grellen Blitz der Blendgranate rot aufleuchten sehen.
"Und jetzt lauft! Worauf wartet Ihr?!" rief der Kommissar und nahm mit seiner Waffe die Wachen an der Tür unter Beschuss. Sirrende Energiesterne flogen auf die Geblendeten zu, von denen sich einige die Augen rieben, andere aber bereits blind in Richtung der Anûšiya feuerten.
"Auf zum Schiff!" rief Salome, und gab ein paar Blasterschüsse in die Richtung ab, in der Marlone noch kurz zuvor gestanden hatten. Der Kommandant und seine Leibwächter hatten sich aber längst wieder hinter dem Versorgungskubus in Sicherheit gebracht, um dort ihre Waffen erneut auf die Fliehenden anzulegen und zu schießen.
Dak rannte auf sein Schiff zu. Er musste ins Cockpit, damit sie starten konnten. Noch begriff er nicht, was um ihn herum gerade geschah und wie sie in diesen Schlamassel geraten konnten, aber aus dem Augenwinkel konnte erkennen, dass sich am Ende der Startbahn das Tor zum Weltraum öffnete. Harmet hatte also seine Aufgabe planmäßig erfüllt. Immerhin.
Auch Leutnant, Leila und Salome liefen, feuerten aber im Lauf in Richtung des Kubus, um Marlone und seine Männer in Schach zu halten. Dennoch konnten sie das Gegenfeuer nicht verhindern und immer wieder kamen Blasterstrahlen gefährlich nah. Emre jedoch blieb an der Seite des Kommissars stehen und schoss dermaßen Präzise auf die Wachen, dass er bereits zwei niedergestreckt hatte und die anderen sich in Deckung bringen mussten, um dem Dauerfeuer des Roboters zu entgehen.
"Du Idiot! Geh endlich aufs Schiff, oder willst Du hier krepieren?" blaffte ihn der Kommissar an. Der Peretristak hatte mit einem Kopfschuss einen der Leibwächter des Kommandanten erledigt, was ihnen einen kurzen Moment Ruhe einbrachte.
"Was ist mit Dir?" fragte der Roboter.
"Ich halte sie auf! Sag Salome, dass der Kommandant einer von ihnen ist."
"Einer von Ihnen? Was heißt das? Und wir gewinnen doch..."
Doch kaum hatte er diese Worte gesprochen, sah er seinen Irrtum ein. Die Hangartür hatte sich erneut geöffnet und weitere Soldaten stürmten unter Feuer die Halle. Einige von ihnen trugen Energieschilde, die von Blastern kaum zu durchdringen waren.
"Ach Du heilige Blechtrommel.... Wie willst Du gegen die bestehen?"
Der Peretristak antwortete nicht. Stattdessen richtete er sich zu seiner vollen, beeindruckenden Größe auf, stellte sich auf die Hinterglieder und richtete die vier anderen, sowie seinen Stachelschwanz, auf die Gegner. Einen Augenblick später wurden diese von schier endlosen kleinen Säurepfeilen übersät, welche stakkatoartig aus den Gliedmaßen des Kommissars flogen.
Emre lief. Er erreichte das Schiff, als dessen Maschinen bereits auf Hochtouren liefen, rannte die Laderampe hinauf und schloss diese, als er oben angekommen war. Durch die kleiner werdende Öffnung sah er, wie Tstsrzk unter dem Beschuss der Wachen zusammensank. Dak drückte den Starhebel durch.

"Wollten wir das Blutvergießen nicht vermeiden?" fragte Emre Salome.
"Das war unsere Absicht, ja." erwiderte sie traurig. "Leider hat uns die Wirklichkeit eingeholt."

Veröffentlicht: 13.03.2019

Zurück Zur Geschichten-Übersicht